Laurentino Gomes

Die Flucht des portugiesischen Hofes nach Brasilien und die Bedeutung Leopoldines von Habsburg

Die Flucht des portugiesischen Hofes nach Brasilien und die Bedeutung Leopoldines von Habsburg
Blick auf Rio de Janeiro von Rugendas

Ein nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gesehenes Schauspiel trug sich am frühen Nachmittag des 7. März 1808 vor den ungläubigen Augen der Bewohner Rio de Janeiros zu. Stark schien die Sonne an diesem Tag, der Himmel war blau. Ein heftiger Wind wehte vom Ozean, um die erdrückende Sommerhitze Rios in dem Moment zu lindern, als das Geschwader des Prinzregenten Dom João und der königlichen Familie Portugals in die Bucht von Guanabara einfuhr, im Begleitschutz von Kriegsschiffen der britischen Marine. Was man im Folgenden sah, war die Begegnung zweier, sich bis dahin fremder und entfernter Welten. Auf der einen Seite eine europäische Monarchie, ausstaffiert mit samtenen Fracks, beschnallten Schuhen, Seidenstrümpfen, Perücken und Honneurs, zu schwere und zu dunkle Gewänder unter der sengenden Sonne der Tropen. Auf der anderen Seite eine koloniale und fast afrikanische Stadt, deren Bevölkerung zu zwei Dritteln aus Schwarzen, Mestizen und Mulatten bestand, voll mit Männern groben Lebenswandels: Sklavenhändlern, Viehtreibern, Gold- und Diamantenhändlern, Matrosen sowie Vertretern des Indienhandels.

Damit beginnt die bemerkenswerteste Periode von Umwandlungen in Brasilien. Zwischen 1808 und 1821, der Zeit, in der die portugiesische Königsfamilie in Rio de Janeiro verweilte, überwand Brasilien seine Rolle als rückständige, isolierte und verbotene Kolonie und pflasterte seinen Weg zur Unabhängigkeit. Unter den Protagonisten dieser Geschichte gibt es eine beachtliche Galerie von Ausländern deutscher Herkunft. Es sind Maler, Komponisten, Ingenieure, Wissenschaftler, Diplomaten, Reisende oder einfache Abenteurer, die das Land in dieser Zeit besuchten oder bereisten und Zeugen dieser laufenden Veränderungen wurden oder aktiv daran teilnahmen. Die wichtigste dieser Personen war die Kaiserin von Brasilien, Leopoldine, verheiratet mit Dom Pedro I., dem Sohn Dom Joãos und Held der Unabhängigkeit von 1822.

Die Flucht des Hofstaats nach Brasilien geschah aufgrund des Drucks, den Napoleon Bonaparte auf die portugiesische Krone ausgeübt hatte. 1807 regierte Dom João das portugiesische Reich interimistisch in prekärer Weise als Prinzregent. Als zweiter Sohn der Königin Dona Maria I. musste er den Thron übernehmen, nachdem seine Mutter Symptome einer unheilbaren Geisteskrankheit gezeigt hatte – weswegen sie noch heute als „Maria die Wahnsinnige“ bekannt ist. Der Prinz war ein schüchterner, hässlicher und abergläubischer Mann, der in ernsthafte eheliche Probleme verwickelt war. Seit drei Jahren lebte er getrennt von seiner Frau, der Prinzessin Carlota Joaquina, einer reizbaren und herrschsüchtigen Spanierin, mit der er drei Kinder hatte. Das Ehepaar schlief nicht nur in getrennten Betten, sondern auch in verschiedenen, voneinander entfernten Palästen. Dom João war ebenfalls bekannt für sein Problem, nur schwer Entscheidungen treffen zu können. Deshalb delegierte er gewöhnlich alles an die Minister, die ihn umgaben. Im November 1807 jedoch wurde er in die Enge getrieben und gezwungen, die wichtigste Entscheidung seines Lebens zu treffen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Napoleon Bonaparte der absolute Herr über Europa. Seine Heere hatten es nur nicht geschafft, England zu unterwerfen. Geschützt durch den Ärmelkanal, hatten die Engländer die direkte Konfrontation mit den Streitkräften Napoleons zu Lande vermieden. Gleichzeitig hatten sie 1805 in der Schlacht von Trafalgar ihre Stellung als die Herren der Meere gefestigt, als ihre Kriegsmarine unter dem Kommando Lord Nelsons am Eingang zum Mittelmeer die vereinten Geschwader Frankreichs und Spaniens vernichtete. Der französische Kaiser reagierte mit der Verordnung der Kontinentalsperre, der Maßnahme, die alle europäischen Häfen für britische Erzeugnisse schließen sollte. Seine Anweisungen wurden sofort von allen anderen Ländern befolgt, mit einer einzigen Ausnahme: dem kleinen und ungeschützten Portugal. Gleichzeitig von den Engländern und den Franzosen unter Druck gesetzt, zog es Dom João vor, nach Rio de Janeiro zu flüchten, womit er die Periode der Umwandlungen veranlasste, die zur Unabhängigkeit Brasiliens im Jahr 1822 führen sollten.

1808 war Brasilien ein riesiges unberührtes, spärlich besiedeltes Territorium mit etwas mehr als drei Millionen Einwohnern. Von drei Brasilianern war einer Sklave. Die Summe der indigenen Stämme schätzte man auf 800.000 Menschen. Im Großen und Ganzen war es eine analphabetische und arme Bevölkerung, der es an allem mangelte. In der Stadt São Paulo konnten nur 2,5% der freien Menschen im Schulalter lesen oder den eigenen Namen schreiben. Die Gesundheitsbedingungen waren ungeheuer prekär. Nach drei Jahrhunderten portugiesischer Kolonisation konzentrierte sich die besiedelte Fläche auf die Küstenregionen, mit Ausnahme einiger Siedlungen entlang des Amazonastals und heruntergekommenen Städten und Dörfern in den alten Goldförderzonen von Minas Gerais, Goiás und Mato Grosso. Der Mangel an Straßen und Kommunikationsmitteln bewirkte, dass die Provinzen voneinander isoliert blieben. Die regionalen Rivalitäten und die große Zahl an Sklaven ließen einen Bürgerkrieg oder ethnischen Krieg vorhersehen, der von Zeit zu Zeit das Territorium in eine Konstellation unabhängiger Länder zu zerteilen drohte, so wie es mit den benachbarten Kolonien Spanisch-Amerikas geschehen sollte.

All dies änderte sich mit dem Umzug des Hofes. Im Januar 1808 gab Dom João während eines Zwischenaufenthalts in Salvador, in Bahia, die Öffnung der brasilianischen Häfen für den ausländischen Handel bekannt. Wochen später, bei der Ankunft in Rio de Janeiro, gewährte er Freiheit für das Handel- und Manufakturgewerbe in Brasilien. Die am 1. April bekannt gegebene Maßnahme widerrief eine Verordnung von 1785, die die Herstellung jeglicher Produkte in der Kolonie verbot. Verbunden mit der Öffnung der Häfen bedeutete sie in der Praxis das Ende des Kolonialsystems. Brasilien befreite sich von drei Jahrhunderten portugiesischem Handelsmonopol und fügte sich als eine effektiv selbstständige Nation in das internationale System der Produktion und des Handels ein.

Die Erschließung neuer Straßen half, die Isolierung zu überwinden, die bis dahin zwischen den Provinzen herrschte. Die entfernter gelegenen Regionen wurden erkundet und kartiert. Eine andere Neuigkeit war die Einführung weltlicher und höherer Schulen. Vor der Ankunft des Hofs, war die gesamte Erziehung im kolonialen Brasilien auf die Grundschulbildung beschränkt und den Geistlichen anvertraut. Anders als die benachbarten Territorien unter spanischer Herrschaft, die bereits ihre ersten Universitäten hatten, gab es in Brasilien nur keine einzige akademische Fakultät. Dom João änderte dies durch die Gründung einer Hochschule für Medizin, einer anderen für landwirtschaftliche Techniken, eines Labors für chemische Studien und Analysen und der Königlichen Militärakademie, zu deren Aufgaben der Unterricht in Bauingenieur- und Bergbaukunde gehörte.

Befreit von den Verboten begannen zahllose Gewerbe und Aktivitäten im brasilianischen Territorium aufzukeimen. Die Gazeta do Rio de Janeiro, dank der Aufhebung des Verbots für das Druckgewerbe die erste in Brasilien publizierte Zeitung, erschien erstmals am 10. September 1808, gedruckt mit Maschinen, die aus England gekommen waren. Die erste Eisenfabrik entstand 1811 in der Stadt Congonhas do Campo durch den damaligen Gouverneur von Minas Gerais, Dom Francisco de Assis Mascarenhas, Graf von Palma, unter Beratung des deutschen Mineralogen Wilhelm Ludwig Eschwege. Drei Jahre später und bereits als Gouverneur der Provinz São Paulo, half Dom Francisco beim Bau einer anderen Eisenfabik, der Real Fábrica de Ferro São João do Ipanema, die von einem anderen deutschen Mineralogen, Ludwig Wilhelm Varnhagen, geleitet wurde. In anderen Gebieten wurden Kornmühlen und Schiffswerften sowie Fabriken zur Herstellung von Schießpulver, Seilen und Stoffen errichtet.

Die Präsenz von Eschwege und Varnhagen bei diesen industriellen Unternehmungen ist Teil eines Phänomens von vitaler Bedeutung: die Neuentdeckung Brasiliens durch Ausländer in dieser Zeit. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die brasilianische Kolonie das letzte bewohnte Stück des Planeten, das noch nicht von Europäern, die keine Portugiesen waren, erkundet worden war. Das von den Portugiesen verhängte Zutrittsverbot ließ die Kolonie noch mysteriöser werden, aufgrund der in Europa zirkulierenden Gerüchte über die immensen Reichtümer an Bodenschätzen und die unendlichen tropischen Urwälder voller exotischer Tiere und Pflanzen und Indios, die noch in der „Steinzeit“ lebten. Die Ankunft des Hofes und die Öffnung der Häfen änderte all dies mit einem Schlage.

Die Ausländer, die in der Zeit der Flucht des portugiesischen Hofes und der Unabhängigkeit in Brasilien waren, können in fünf Kategorien eingeteilt werden. Die erste ist die der Händler, der im Bergbau Tätigen und anderer Geschäftsleute. Die zweite ist die der Adligen, Diplomaten, Militärs und Regierungsbeamten, die in offizieller Mission im Land wohnten oder sich dort zeitweise aufhielten. Die dritte Kategorie ist die der Wissenschaftler, Teilnehmer der zahlreichen Expeditionen, die in dieser Zeit durch das Land zogen. Die vierte Gruppe ist die der Künstler und Landschaftsmaler. Die fünfte und letzte wird von Abenteurern, Neugierigen und Leuten gebildet, die fast zufällig ins Land kamen. In allen von ihnen treten Personen deutscher Herkunft in Erscheinung, wie Eschwege und Varnhagen, die bayerischen Biologen Karl Friedrich Philipp von Martius und Johann Baptist von Spix, der Maler Thomas Ender und sein Kollege Johann Moritz Rugendas sowie der Musiker Sigismund von Neukomm, Schüler des österreichischen Komponisten Franz Joseph Haydn und Lehrer des Prinzen und künftigen Kaisers Pedro I. von Brasilien.

Das Kommen von Wissenschaftlern und Künstlern aus deutschen Ländern und anderen Nationen nach Brasilien beweist, dass die von Dom João ergriffenen Bemühungen um Veränderung sich nicht auf den Verwaltungsbereich beschränkten. Während er die Erschließung von Staßen, den Bau von Fabriken und Schulen sowie die Organisation der Regierungsstruktur anordnete, widmete sich der portugiesische Monarch auch dem, was der Historiker Jurandir Malerba „zivilisatorische Unternehmungen“ genannt hat. In diesem Fall war das Ziel, die Künste und die Kultur zu fördern und zu versuchen, den rückständigen Sitten der Kolonie einen Zug von Finesse und gutem Geschmack einzuhauchen. Für die Künste und Wissenschaften stellte die Öffnung der Häfen und das Ende des Verbots, Brasilien zu betreten, einen Quantensprung dar. Das Land, das sich den Geografen, Botanikern, Geologen und Ethnografen öffnete, war ein riesiges, überreiches Laboratorium voller Neuigkeiten.

Rio de Janeiro konnte sich bei Weitem nicht mit London oder Paris vergleichen, doch die neuen Sitten und vom Hof importierten Rituale taten bald ihre Wirkung auf das Verhalten seiner Bewohner. Der ehemalige Soldat des preußischen Heers im Krieg gegen Napoleon und Naturforscher Prinz Maximilian Alexander Philipp zu Wied- Neuwied traf 1815 in Rio ein, in der Erwartung, ein ruhiges, in den tropischen Urwäldern vor sich hindämmerndes koloniales Städtchen vorzufinden und war überrascht von dem, was er sah. „Verbesserungen aller Art wurden in der Hauptstadt vorgenommen“, schrieb der Prinz, „sie verlor viel von ihrer Originalität, und ward hierdurch europäischen Städten ähnlicher.“

Die vom Hof herübergebrachten neuen Bekleidungs- und Umgangssitten wurden an den Aufführungsabenden im Theater São João oder bei den Sonntagsmessen vorgeführt. Bei diesen Anlässen bestand ein unbestrittenes Statussymbol in der Zahl der Sklaven und Diener, die ihre Herrschaften in den Straßen Rio de Janeiros begleiteten. Die reichsten und mächtigsten hatten die größten Gefolge und legten Wert darauf, sie als Symbol ihrer sozialen Bedeutung zur Schau zu stellen. Der Preuße Theodor von Leithold sagt, dass selbst „die Freudenmädchen, deren es viele hier gibt, von der ersten Klasse“ stolz ihr Gefolge in den Straßen vorführten. Wer nicht über eigene Diener verfügte, mietete sie für den Ausgang an den Festtagen oder um zur Messe zu gehen. „Sie setzen eine Ehre darein, mit recht vielen Begleitern zu prahlen und stolzieren gravitätisch mit abgemessenen Schritten durch die Straßen.“

Die Veränderungen im Brasilien Dom Joãos sollten ihren Höhepunkt am 16. Dezember 1815 erreichen. An diesem Tag erhob Dom João Brasilien zum Vereinigten Königreich mit Portugal und Algarve sowie Rio de Janeiro zum offiziellen Sitz der Krone. Zwei Absichten verfolgte diese Maßnahme. Die erste war, eine Hommage an die Brasilianer zu richten, die ihn 1808 aufgenommen hatten. Die andere bestand darin, die portugiesische Monarchie bei den Verhandlungen des Wiener Kongresses zu stärken, wo die im Krieg gegen Napoleon siegreichen Mächte die Zukunft Europas diskutierten. Mit der Erhebung Brasiliens zum Vereinigten Königreich von Portugal, gewann der Hof von Rio de Janeiro Sitz und Stimme im Kongress, selbst in einer Entfernung von tausenden Kilometern von Lissabon, der bis dahin von den übrigen europäischen Regierungen anerkannten Residenz.

Das Ziel des portugiesischen Monarchen war folglich, seine europäischen Amtskollegen zu beeindrucken. Es war kein Zufall, dass die größte Demonstration von Pomp und Reichtum des in Brasilien residierenden portugiesischen Hofs in Wien geschah, mehr als 10.000 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt. Dort erfolgten zwischen Februar und Juni 1817 die zahllosen Zeremonien, welche die Vermählung per Stellvertreter von Prinzessin Leopoldine mit dem künftigen Kaiser Pedro I. begleiteten. Damit beauftragt, die Heirat auszuhandeln und die Papiere im Namen Dom Pedros zu unterzeichnen, dirigierte der damalige portugiesische Botschafter Marquês de Marialva in Wien eines der grandiosesten und teuersten Spektakel, das die Hauptstadt des damaligen österreichisch-ungarischen Kaiserreichs je erlebt hatte.

Diese Zurschaustellung stand im Kontrast zu den Schwierigkeiten, die das Königtum in Brasilien durchlebte. In Rio de Janeiro gab es auch Bälle und Feste am Hof, doch Dom João VI. verschuldete sich weiterhin immer mehr und wurde immer abhängiger von den Geldemissionen der Bank von Brasilien und „freiwilligen“ Schenkungen der Reichen des Landes, die davon Gunsterweise, Privilegien und Ehrungen erwarteten. In seinem Alltagsablauf hatte dieser Hof nichts an Glanz noch an Vornehmheit, wie die Berichte der Diplomaten und Reisenden bezeugen, die nahen Kontakt zu ihm hatten. Der alte Sitz des Vize-Königtums im Zentrum der Stadt, nun zum Paço Imperial, zum Kaiserlichen Palast geworden, war bescheiden, unangemessen für eine königliche Residenz. „Der kaiserliche Palast ist ein weitläufiges, unregelmäßiges Gebäude von der schlechtesten Bauart“, urteilte der Maler Johann Moritz Rugendas. „Ein Palast ohne architektonische Besonderheiten“, bestätigte der Deutsche Ernst Ebel.

Die Feierlichkeiten, die 1817 in Wien begannen, wurden bei der Ankunft der Prinzessin Leopoldine in Rio de Janeiro fortgesetzt. Die Vorbereitungen organisierte der Generalintendant der Polizei, Paulo Fernandes Viana. Die Strände, die im Normalfall eine Abwasserdeponie unter freiem Himmel waren, wurden saniert. Die gekehrten und gewaschenen Straßen wurden mit einer feinen Schicht weißen Sandes bedeckt und dann mit duftenden Blüten bestreut. Die Fenster der Villen schmückten Tücher und Decken aus Spitzengewebe und Damast. Drei Nächte lang war die Stadt ausgiebig beleuchtet.

Die Prinzessin Leopoldine traf am 5. November 1817 in Rio ein. Als sie vom Schiff an Land stieg, zeigte sie eine ungewöhnliche Haltung: sie kniete vor der Schwiegermutter, der Königin Carlota Joaquina, nieder, umarmte ihre Füße und küsste ihre Hände. Dann wandte sie sich zum König und wiederholte die Gesten. In dem Moment, in dem sie den Fuß an Land setzte, wurden Kanonensalven von den Festungen und den im Hafen ankernden Schiffen abgefeuert. Die Glocken aller Kirchen begannen gleichzeitig zu läuten. Unter den Jubelrufen des Volkes, das sich in den Straßen drängte, zog das Gefolge weiter in Richtung der Königlichen Kapelle in der Rua Direita, einige Meter vom Paço Real entfernt. Etwa hundert Karossen, begleitet von einer Dienerschaft in vorschriftsmäßiger Garderobe, bildeten den Zug. Eine Kutsche brachte den König und die Königin, den Prinzen und die Prinzessin. „An Land, hinter dem Triumphbogen, sieht man die Kutsche, bespannt mit acht Pferden mit roten Federbüschen und Riemenzeug aus goldbesticktem Samt“, notierte der Maler Jean Baptist Debret als er die Szene beschrieb. Nach einer Zeremonie der Dankesfeier und einem Galadiner zeigte sich das Paar dem Volk an den Fenstern des Paço. Um elf Uhr abends waren alle zum Palast von São Cristóvão zurückgekehrt, wo Dom Pedro und Leopoldine ihre Hochzeitsnacht verbrachten.

Es ist fast unmöglich, die Geschichte der Unabhängigkeit Brasiliens im Jahr 1822 zu verstehen, ohne sich zuvor mit der Rolle zu befassen, die dabei die österreichische Prinzessin Maria Leopoldine Josepha Caroline von Habsburg spielte. Verheiratet mit dem jungen Dom Pedro, dem Erben der portugiesischen Krone und ersten brasilianischen Kaiser, wurde sie zur Hauptfigur bei den Ereignissen, die in jenem Jahr zum endgültigen Bruch Brasiliens mit Portugal führten. Ihr starkes und entschiedenes Engagement in der brasilianischen Politik an der Seite von José Bonifácio de Andrada e Silva, bekannt als der Patriarch der Unabhängigkeit, erstaunt bis heute die Historiker. Sie war es, die José Bonifácio überredete, im Januar 1821 die Ernennung zum Minister anzunehmen, ein Amt, das der aus der Provinz São Paulo stammende, gebildete und gelehrte Mann stets abgelehnt hatte, da er Dom Pedro noch nicht vertraute. Die von José Bonifácio verfasste Erklärung der Unabhängigkeit im September 1822 wurde von ihr unterschrieben und Dom Pedro zugeschickt, der sich auf einer Reise nach São Paulo befand. Das heißt, unter formalem Gesichtspunkt wurde die Unabhängigkeit von Leopoldine und José Bonifácio vollzogen und dem Prinzen kam lediglich die theatralische Rolle zu, sie auf dem Hügel am Flüsschen Ipiranga zu verkünden. Danach setzte sie sich energisch für die Anerkennung der Autonomie des neuen Landes durch die europäischen Höfe ein, indem sie Briefe an den Vater, den Kaiser von Österreich Franz I. und an den Schwiegervater, den König von Portugal Dom João VI. schrieb. Kurz, ohne Leopoldine wäre die Unabhängigkeit Brasiliens sehr viel schwieriger gewesen und hätte wahrscheinlich mehr Blut und Opfer gekostet, als sie tatsächlich erforderte.

Leopoldine vereinte eine beachtenswerte Menge an Tugenden im Bereich des Wissens, der Bildung, der guten Manieren und der Besonnenheit im Handeln. Sie war in der goldensten Wiege der Zeit geboren worden: am Hof von Österreich, einem der glanzvollsten und kultiviertesten Europas. Ihr Vater Franz I., Erbe des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, saß auf einem Thron, den in den 350 vorangehenden Jahren dasselbe Geschlecht innehatte, das der Habsburger. Intellektuell gebildet und rege, Sammlerin von Felsgestein, Schmetterlingen, Pflanzen und Tieren, war sie zwanzig Jahre alt, als sie nach Brasilien kam, per Stellvertreter vermählt mit dem Erben der portugiesischen Krone, der ein Jahr und neun Monate jünger war als sie.

Wie die Tradition es verlangte, war die Hochzeit Leopoldines mit Dom Pedro verquickt mit den hohen Interessen im heiklen Schachspiel, das sich 1815 nach dem Fall Napoleons zwischen den europäischen Monarchien abspielte. Seit 1808 im tropischen Exil, musste Dom João VI. die Bande zwischen der portugiesischen Krone und den österreichischen Habsburgern stärken, als einer Form, dem übermäßigen Einfluss Englands in seinen Herrschaftsgebieten entgegenzuwirken. Österreich seinerseits wollte ebenfalls Portugal der englischen Machtsphäre entziehen, hatte aber ein besonderes Interesse an der Stärkung eines monarchischen Regimes in Amerika, einem von republikanischen Revolutionen heimgesuchten Kontinent.

Auf dem Papier bereits verheiratet verließ Leopoldine Wien am 3. Juni 1817 und traf fünf Monate später in Rio de Janeiro ein. In ihrem Gefolge begleitete sie eine wichtige künstlerische und wissenschaftliche Mission, der u. a. der Arzt und Mineraloge Johann Baptist Emanuel Pohl, der Landschaftsmaler Thomas Ender sowie die Biologen Johann Baptist von Spix und Karl Friedrich Philipp von Martius angehörten. Bevor sie die Reise zu ihrem Ehemann begann, las Leopoldine alles über Brasilien, was sie bekommen konnte.

Nach den Briefen zu urteilen, die sie an ihre Schwester Marie-Louise schrieb, ähnelte das Brasilien, von dem die junge österreichische Prinzessin träumte, einem idyllischen Ort. Nach der Ankunft in Rio de Janeiro sollte sich die harte Wirklichkeit der Tropen rasch gegen die Träume der Prinzessin behaupten. Die Stadt war ungesund, voller Krankheiten, verbreitet durch die Myriaden von Insekten, welche die Sümpfe und unkanalisierten Abwässer verseuchten. Da es weder Toiletten noch Mülleimer gab, wurden der Kot und die Abfälle aus den Häusern auf die Straße geworfen oder an die Strände gekippt. Um den Palast der Quinta da Boa Vista herum gab es weder Bäume noch gepflasterte Wege, wodurch das Areal in der Regenzeit zu einer großen Schlammlache wurde. Aus diesen Abwässern unter freiem Himmel gingen Schwärme von Mücken hervor, die den Hof in den Sommernächten plagten. „Das portugiesische Amerika wäre ein Paradies auf Erden, wenn es nicht eine unerträgliche Hitze und viele Mücken gäbe“, äußerte Leopoldine in einem Brief vom 24. Januar 1818, wo sie das erste Mal eingestand, dass das Paradies nicht so vollkommen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Gleich nach der Ankunft erwartete sie der erste Schreck, als sie entdeckte, dass der Ehemann Epileptiker war. Niemand hatte ihr in Wien etwas davon gesagt.

Am späten Nachmittag des 4. April 1819, am Palmsonntag, verkündeten Feuerwerke an der Quinta da Boa Vista und am Morro do Castelo die große Nachricht: Pedro und Leopoldine waren endlich Eltern geworden. Die erste in Brasilien geborene Prinzessin und künftige Königin von Portugal wurde auf den Namen Maria da Glória getauft. Danach sollte Leopoldine Dom Pedro noch sechs weitere Erben schenken, einen pro Jahr, der letzte von ihnen Pedro de Alcântara, Kaiser Pedro II. von Brasilien, gestorben 1891, zwei Jahre nach der Verkündung der Republik. Die Folge der Schwangerschaften und Niederkünfte verlangte bald ihren Preis. Die Prinzessin mit den tiefblauen Augen und der rosigen Haut, die 1817 nach Brasilien gekommen war, wandelte sich zu einer Frau, die ihre äußere Erscheinung vernachlässigte. Aus Bequemlichkeit verzichtete sie auf Mieder oder Korsett, wie es unter den eleganten Damen der Zeit Mode war. Das Fehlen dieser Zier ließ den erschlafften Körper und die ausladenden Formen sichtbar werden.

Währenddessen wurde Dom Pedro immer unverschämter bei seinen außerehelichen Abenteuern. Was zuerst noch heimlich geschah, wurde bald nicht mehr vor der Öffentlichkeit verborgen. Die Prinzessin ihrerseits nahm immer stärker Anteil am Wirbel der politischen Geschehnisse, die der Unabhängigkeit vorausgingen. 1822 verliebte sich der Ehemann hoffnungslos in Domitila de Castro Canto e Melo, die künftige Marquesa von Santos, Leopoldines große Rivalin am Hof von Rio de Janeiro. Von Dom Pedro nach Rio de Janeiro geholt, bekam Domitila von da an alle Aufmerksamkeit, Geschenke und Anerkennung des Kaisers, während Leopoldine in den Schatten gedrängt und öffentlich gedemütigt wurde. Vom Ehemann verlassen erhielt sie immer weniger Geld für den Unterhalt des Hauses und der Kinder. Die Marquesa dagegen prangte mit Juwelen und Geschenken, verschaffte sich die Gunst von Diplomaten und hohen Regierungsbeamten, empfahl Verwandte für Ämter und Würden am Hof und lebte in Prunk und Luxus. Leopoldine begann dahinzuwelken, im Sog der Depression, die ihrem Leben ein frühes Ende bereitete.

Im November 1826 brach Dom Pedro nach Rio Grande do Sul auf, mit der Absicht, die Entwicklungen des Argentinisch- Brasilianischen Kriegs aus der Nähe zu verfolgen. Am 29. des Monats leitete Leopoldine, krank und niedergeschlagen, die Sitzung des Ministerrats. In den folgenden Stunden bekam sie hohes Fieber und Krampfanfälle. Am 2. Dezember erlitt sie die Fehlgeburt eines Jungen. Sie starb am 11. Dezember um 10Uhr15, einen Monat vor ihrem 30. Geburtstag. Heute wird sie von den einfacheren Schichten der brasilianischen Bevölkerung liebevoll verehrt; an ihren Namen erinnern eine Station der Eisenbahnlinie Central do Brasil und Samba- Schulen wie die Imperatriz Leopoldinense in Rio de Janeiro und die Imperatriz Dona Leopoldina in Porto Alegre.