Martin N. Dreher

Erste deutsche Einwanderer auf dem Land

Erste deutsche Einwanderer auf dem Land
Becker & Mückler in Agudo/RS, ohne Datum. Historisches Museum Visconde de São Leopoldo

Wenngleich es „Deutsche“ auch seit den Anfängen des portugiesischen Brasiliens im Land gegeben hat, war es der Marquis von Pombal, der als erster den Versuch machte, sie im Ackerbau einzusetzen, als er in Amapá die Kolonie Viçosa da Madre de Deus gründete. Sie sollten dort Nahrungsmittel für die Bewohner der Festung von Macapá produzieren, wurden jedoch durch Indios und Mosquitos ausgezehrt (s. Oberacker, 1966). Die gesetzliche Grundlage für den Landbesitz von Ausländern auf brasilianischem Boden wurde durch den Prinzregenten João am 25. November 1808 verordnet und drei Jahre später bestimmte der Graf von Linhares durch Bescheid vom 19. Februar 1811 die Grenzgegenden zwischen Bahia und Espírito Santo zu bevorzugten Gebieten für die Kolonisation (s. Iotti, 2001). So ist es kein Zufall, dass 1821 der Major Georg Anton von Schaeffer dann in dieser Region an den Ufern des Flusses Jacarandá die Kolonie Frankenthal gründete, mit zwanzig Personen auf vier Familien verteilt: er war stolz darauf, dabei keine Sklavenarbeit verwendet zu haben (cf. Oberacker, 1975). Wir wissen allerdings, dass die dort Niedergelassenen sich später mit dem System der Sklaverei, dem Motor der brasilianischen Wirtschaft bis 1888, arrrangiert haben. Vor dem Unternehmen von Schaeffers war im Jahr 1818 mit Beteiligung Schweizer Einwanderer aus dem Kanton Freiburg auf der Fazenda do Morro Queimado im Distrikt Cantagalo der Provinz Rio de Janeiro eine Siedlung eingerichtet worden, Ursprung des heutigen Nova Friburgo. Im selben Jahr entstand, auf die Initiative des Unternehmers Freyreiss hin, an den Ufern des Peruípe im Distrikt Vila Viçosa im Kapitanat Bahia die Kolonie „Leopoldina“. Auch erhielten der Architekt Peter Weyll und ein Herr Saueracker Landbesitz am Fluss Almada, in der Nähe von São Jorge dos Ilheus (s. Oberacker, 1968 und Iotti, 2001). Dort wurden in den Jahren 1821 und 1822 dann deutsche Einwanderer angesiedelt. Noch 1824 sollten der Einwanderer Peter Reinheimer und Familie, aus Altenglan stammend, der Kolonie Almada zugeteilt werden, doch zogen sie es vor, in Três Forquilhas und später in São Leopoldo zu bleiben (s. Dreher, 2011).

Die königliche Verordnung vom 16. März 1820 bestimmte in Artikel 6, dass Kolonisten, die sich auf von der Krone überlassenen Ländereien niederließen, unmittelbar zu portugiesischen Untertanen würden (s. Biker, 1880). Diese Verordnung, obgleich als trügerisch erachtet, sollte von Bedeutung für die Propaganda des brasilianischen Kaiserreichs werden, als dessen Kolonisierungsbestrebungen einsetzten.

Bereits vor der Verkündung der Unabhängigkeit schickten der Prinzregent Pedro und der erste Kanzler des Reichs den Befehlsadjutanten der Prinzessin Leopoldine, Georg Anton von Schaeffer, nach Mitteleuropa, um Personal für militärische Truppen anzuwerben. Schaeffer selbst drängte allerdings beim Prinzregenten und bei José Bonifácio darauf, nicht nur Soldaten, sondern auch Bauern und Handwerker zu holen. Dabei sprach er sich gegen die Arbeit afrikanischer Sklaven in den Gebieten, in denen die Kolonisten angesiedelt würden, aus. Außerdem riet er, dass die Kolonisierung mit freien Personen geschehen sollte, wie es bei den deutschen Kolonisten in Russland der Fall gewesen war. Seine Empfehlungen und Ratschläge fanden Niederschlag in den „Persönlichen Anweisungen, um dem Major Georg Anton Schaeffer bei der Mission als Richtlinie zu dienen, mit der er vom hiesigen Hof zu dem in Wien von Österreich reist, und andere“ (s. Archivo Diplomático da Independência, IV, 1922). Gestützt auf die „Anweisungen“ und die königliche Verordnung von 1820 begann Schaeffer dann, Soldaten, Bauern und Handwerker für Brasilien zu rekrutieren. Mit den Soldaten bildete Dom Pedro die Fremdenregimenter, mit den Bauern und Handwerkern wurden Ackerbaukolonien gegründet, nach dem Vorbild der Kossakensiedlungen in Russland: In Friedenszeiten sollten sie Bauern sein, in Kriegszeiten als Soldaten dienen. So geschah es tatsächlich. Die in Rio Grande do Sul und später in Santa Catarina angesiedelten Bauern und Handwerker nahmen aktiv am Argentinisch-Brasilianischen Krieg, an der Farrapen-Revolution und am Tripel-Allianz- Krieg gegen Paraguay teil.

In Hamburg erlangte Schaeffer die Unterstützung des Polizeisenators Abendroth, dessen Neffe in Rio de Janeiro Handel trieb und später dort Konsul der Regierung von Mecklenburg wurde, nachdem er versprochen hatte, die Stadt von „Vagabunden und müßigem Volk“ zu befreien. Tatsächlich finden wir unter den ersten Auswanderergruppen auf den von Schaeffer gemieteten Schiffen Personen, die man aus dem Hamburger Gefängnis geholt hatte. In Oldenburg willigte der Herzog ein, dass Schaeffer Kolonisten in seinem pfälzischen Besitz Birkenfeld anwarb, wo die Bevölkerung nach einer Reihe von Missernten Not litt. In Mecklenburg- Schwerin verhandelte der brasilianische Gesandte über die Anerkennung der Unabhängigkeit Brasiliens im Tausch gegen die Überführung von Insassen des Zuchthauses. Wir haben hier einen der vielen Fälle von Deportation, eine bei den damaligen europäischen Staaten gängige Praxis. In drei Gruppen kamen Auswanderer aus Mecklenburg nach Brasilien. Danach fand die Anwerbung in den Regionen Hessen und der Pfalz statt, mit Schwerpunkt auf der Hochebene des Hunsrücks (s. Dreher, 2010). Die Ähnlichkeit der in diesen Gegenden gesprochenen Dialekte führte dann mit der Zeit dazu, dass alle, die von dort stammten, zu „Hunsrückern“ wurden.

Nach der Anfangsperiode der Einwanderung, die sich bis 1835 erstreckte, als die Farrappen-Revolution ausbrach und bis 1845 den Zustrom neuer Kontingente verhinderte, machte sich eine neue Einwanderungswelle aus deutschen Ländern ab 1846 bemerkbar. Wenn in der ersten Periode die Kolonisation nach geopolitischen Kriterien vorgenommen wurde und dazu beitragen sollte, in Konfliktregionen Gebietsbesitz sowie Versorgung mit Lebensmitteln und dazu Soldaten sicher zu stellen, war die 1846 eingeleitete Periode eher wirtschaftlich orientiert und die Provinzen sowie Privatleute bestimmten die Entwicklung. Während die Provinzen die Wirtschaftsleistung voranbringen wollten, um ihre Einnahmen zu vermehren, zogen Privatleute Profit aus der Immobilienspekulation oder waren auf Gewinne für Aktionäre aus, wie es bei der Kolonie Joinville in Santa Catarina der Fall war. Die Provinz São Paulo wurde geprägt durch den Einsatz von Halbpächtern für die Kaffeeplantagen, was international bekannt werden sollte infolge der von Thomas Davatz angeführten Revolte und den Werken von Johann Jakob von Tschudi (s. Fluck, 2004).

Bedingt durch die Initiativen des Kaiserreichs, der Provinzen und von Privatleuten entstanden die folgenden Kolonialgebiete:

Rio Grande do Sul
São Leopoldo (1824) Herkunft: Hamburg, Mecklenburg-Schwerin, Pfalz, Hessen, Sachsen-Coburg, Württemberg
Santa Cruz do Sul (1849) Herkunft: Rheinland, Pommern, Schlesien
Santo Ângelo (Agudo) (1857) Herkunft: Rheinland, Sachsen, Pommern
São Lourenço do Sul (1857) Herkunft: Rheinland, Pommern
Nova Petrópolis (1858) Herkunft: Pommern, Sachsen, Böhmen
Teutônia (1868) Herkunft: Westfalen
Santa Catarina
Blumenau (1850) Herkunft: Pommern, Holstein, Hannover, Braunschweig,Sachsen
Joinville (1851) Herkunft: Preußen, Oldenburg, Schleswig-Holstein, Hannover, Schweiz
Brusque (1860) Herkunft: Baden, Oldenburg, Rheinland, Pommern, Schleswig-Holstein, Braunschweig
Paraná Diverse Siedlungen um Ponta Grossa, entstanden in den Jahren 1877/79, infolge der Einwanderung von Wolgadeutschen (Ukraine).
Espírito Santo
Santa Isabel (1847) Herkunft: Pfalz, Hessen
Santa Leopoldina (1857) Herkunft: Pommern
Rio de Janeiro
Nova Friburgo (1818) Herkunft: Schweiz, Mecklenburg, Hessen
Petrópolis (1845) Herkunft: Pfalz, Westfalen, Nassau, Rheinland
São Paulo
Santo Amaro (1827/1828) Herkunft: Pfalz, Hessen
Colônia (1827/1828) Herkunft: Pfalz, Hessen
Itapecerica da Serra (1827/1828) Herkunft: Mecklenburg, Pfalz, Hessen
Rio Claro (1827/28) Herkunft: Pfalz, Rheinland
Rio Negro (1828) Herkunft: Mecklenburg, Pfalz, Hessen
Limeira (1846) Herkunft: Schleswig-Holstein, Pommern, Schweiz
Minas Gerais
Teófilo Ottoni (1847) Herkunft: Potsdam, Baden, Pommern, Sachsen
Juiz de Fora (1852) Herkunft: Hessen, Schleswig-Holstein, Bayern, Nassau, Braunschweig, Sachsen

Diese Auflistung verzeichnet die anfänglichen Kernsiedlungen. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren aus ihnen bereits neue Kerne hervorgegangen, welche die überschüssige Bevölkerung der ersten Kolonien aufnahmen und wo neue Einwanderer angesiedelt wurden.

In diesen ab 1824 entstandenen Kernsiedlungen war es, wo man das wirtschaftliche Modell erprobte, das später in anderen Gebieten von Rio Grande do Sul, Santa Catarina, Paraná, São Paulo und Espírito Santo übernommen wurde. Dieses Modell findet Entsprechungen in Argentinien, Uruguay und Paraguay sowie teilweise in Chile. In all diesen Regionen ist es interessant zu sehen, wie das gegenwärtige physische Landschaftsbild beschaffen ist. Man sieht dort Stadtgemeinden mit kleinen Gemarkungen, entstanden aus den Gebieten mit Kleinlandbesitz und heute mit hoher Bevölkerungsdichte, während daneben Gemeinden mit sehr ausgedehnten Gemarkungen existieren, entstanden aus den Gebieten der Großgrundbesitzungen.

Die kleinen Gemeinden der erwähnten Bundesstaaten sind aus einer sozialen Organisationsform hervorgegangen, die picada genannt wird. Andere, regional gebräuchliche Bezeichnungen dafür sind linha, lajeado, travessa oder travessão. In Santa Catarina ist der Ausdruck „tifa“ geläufig, aus einer Entstellung des deutschen Wortes Tiefe. In der Literatur findet man noch die deutsche Bezeichnung Schneise oder die eingedeutschte Form Pikade. Die picada benennt die elementare Form des Eindringens in den subtropischen Urwald, bei der mit den verfügbaren Werkzeugen Wege in den Wald geschlagen werden, entlang derer dann die Einwanderer auf ihnen zugewiesenen Grundstücksparzellen angesiedelt werden. Beim Abstecken der Parzellen waren topografische Kriterien bestimmend. An einem Ende diente der Fluss oder sein Nebenarm als Grenze. Nach oben hin erstreckte sich das Grundstück bis zu dem Punkt, wo es auf ein anderes traf, das vom gegenüberliegenden Tal aufstieg. Entlang dieses Scheitels der Anhöhen verlief die linha, picada oder travessa. Die Geografie bestimmte so die Größe jeder einzelnen der entstehenden Gemeinden.

Auf den solcherweise entlang der freigeschlagenen Wege abgesteckten Grundstücken schlugen die Besitzer dann allein oder in gegenseitiger nachbarschaftlicher Hilfe eine Lichtung, auf der die Behausung errichtet wurde und eine Reihe für die bäuerliche Arbeit lebenswichtiger Ergänzungen: Pferdestall, Schweinestall und Scheune.

Die picada, die anfänglich nichts anderes als ein Zugangsweg zu den Grundstücken war, wurde in kurzer Zeit zum geografisch erkennbaren Orientierungs- und Organisationszentrum des kommunalen Lebens. Sie war der Bereich, in dem sich die Kirche befand (katholischer oder lutherischer Konfession, welcher die deutschen Einwanderer jeweils angehörten) sowie die Schule (eine Tradition, die mit den Einwanderern kam und die für die Entwicklung Südbrasiliens fundamentale Bedeutung haben sollte), der Friedhof (Raum der Pflege des kommunalen Gedächtnisses), die Wohnung des Lehrers oder Pfarrers und der Gemeindefestsaal (auch als Verein oder Klub bezeichnet). In jeder picada gab es auch einen Handelsladen, Zwischenstelle für den Verkauf des dortigen Produktionsüberschusses und Erwerbsquelle für Erzeugnisse, die in der Gemeinde nicht hergestellt wurden. Der Handelsladen, oft venda genannt, war für die picada das Tor zur Kommunikation mit der Außenwelt.

Soweit zur allgemeinen Anlage der picada. Ihre institutionelle Struktur strebte im Einklang mit der Art ihrer Einrichtung nach Autonomie, Autarkie, Selbstverwaltung und Selbstbestimmung, denn der Alltag drehte sich um vier maßgebende Achsen: Religion, Schule, Landwirtschaft sowie Kunst und Vergnügungen. In allen picadas wurden Grundstücke reserviert für den Bau von Kapelle, Friedhof und Pfarrhaus. Jedes Kirchlein hatte seinen Vorstand, der alle Bewohner der picada in die Gemeindearbeit einbezog, auch zum Bau und Unterhalt der Kapellen, was zu den Aufgaben der Vorstände gehörte. Man nahm dazu keine Dienste von außen in Anspruch. Ähnlich verhielt es sich mit der Schule, auch sie hatte ihr eigenes Gelände und ihre Schuldirektion, der es oblag, einen Lehrer zu verpflichten, seine Arbeit zu begleiten und für seine Entlohnung zu sorgen. Wie die Kirche, so gehörte auch die Schule zu den Gemeindeaufgaben.

Eine besondere Charakteristik der picada ist ihre wirtschaftliche Organisation von Produktion und Konsum. Jede Familie besaß eine „Kolonie“, in der man die Selbstversorgung erreichen wollte. Man betrieb landwirtschaftliche Polykultur, bei der Mais, Bohnen, Kartoffeln, Reis, Maniok, Ost und Gemüse geerntet wurden. In Espírito Santo und in São Paulo begann früh der Anbau von Kaffee. Zum Viehbestand gehörten Rinder, Schweine, Hühner, Schafe und Gänse. Die Landwirtschaft verschaffte den Familien einen reich gedeckten Tisch und erzeugte Überschüsse, die zum Verkauf dienten. Dank des Anbaus von Zuckerrohr wurde auf dem eigenen Land Zucker gewonnen; Stärke gewann man aus Maniok, das zu Mehl verarbeitet wurde. Neben dem Wohnhaus gab es stets den Nutzgarten, wo die für die Mahlzeiten der Familie nötigen Gemüse und Kräuter gepflanzt wurden, sowie den Ziergarten. Die Tiere lieferten Milch, um Käse und Butter herzustellen. Aus der Schweinezucht stammte das Fleisch für den täglichen Verzehr und Schmalz, das in der Küche und zur Konservierung von Fleisch und Wurst verwendet wurde. Von den Hühnern nahm man die Eier für die Ernährung der Familie; die überschüssigen gab man an den Laden im Tausch gegen benötigte Küchenwaren. Auch der Überschuss aus der Schweinezucht wurde der venda zugeleitet. Die Gänse lieferten die Federn für die Bettdecken; die Schafe die Wolle, die dann gesponnen und verstrickt wurde.

Für ein gutes Funktionieren der picada wurden ergänzende Dienste zur Landwirtschaft nötig. Oft als Zentrum der Ausbeutung des Kleinbauern geschildert, war der Handelsladen, die venda, von grundlegender Bedeutung für ihre Entwicklung. Je nach ihrer Größe konnte jede picada auch mehr als eines dieser Geschäfte beherbergen. Dort wurden die Überschüsse der Produktion verkauft: Bohnen, Kartoffeln, Mais, Eier, Hühner, Schmalz, Leder, Käse und Butter, und die Bauern erwarben die Waren, die nicht in der picada erzeugt wurden: Salz, Gewürze, Geschirr, Hüte und Küchengeräte. In der venda geschah die Kapitalakkumulation, die die Anfänge der Industrialisierung in Rio Grande do Sul und in Santa Catarina ermöglichte.

„In der Praxis monopolisierten die Warenhandlungen alles wirtschaftlichfinanzielle Leben und Schaffen der ländlichen Gemeinden. Sie übernahmen es, die Kolonieerzeugnisse fortzubringen, in den größeren Zentren abzusetzen und Gewerbeerzeugnisse sowie diverse Utensilien anzuliefern, damit sie den Kunden des Hinterlands verfügbar waren. Die Kolonisten brauchten sich folglich nicht von ihren picadas oder ihren linhas zu entfernen, um die für den Alltagsbedarf bestimmten Waren zu erwerben“ (Rambo, 1988).

Die Landwirtschaft erforderte die Einrichtung der Schmiede. Dort wurden die für die täglichen Arbeiten benötigten bäuerlichen Werkzeuge hergestellt: Macheten, Messer, Sensen, Äxte, Hacken und Spaten. Die picada erwarb praktisch keine Landbauwerkzeuge von außerhalb ihres Siedlungsgebiets. Der Schmied stellte sie alle selber her. In den Schmieden wurden auch die Pferde und Maultiere beschlagen.

Durch die Ernährungsgewohnheiten, mit reichlichen Mengen von Mehl, entstanden die Mühlen, zu denen der Mais zum Mahlen, der Reis zum Schälen, die Erdnüsse zum Auspressen des Öls und eventuell der Weizen und die Gerste zum Mahlen gebracht wurden.

In den Wäldern, in denen die picadas angelegt wurden, gab es genügend Holz, das Anlass zur Einrichtung von Sägewerken bot. Sie lieferten die Bretter für den Bau der Häuser, aber auch der Ställe und Schuppen. Ergänzend zu den Sägewerken konnten später die Schreinereien und Zimmereien entstehen, wo die Möbel hergestellt wurden.

Die Fortbewegung von Personen und der Transport von Erzeugnissen geschah mit Hilfe von Pferden und Maultieren, was die Herstellung von Sätteln und Riemenzeug erforderte und die Sattlereien entstehen ließ. Sie verweisen bereits auf einen ganzen Zweig der Lederverarbeitung, nämlich die Herstellung von Schuhwerk: Stiefel, Schlappen, Clogs und Schuhe. Vor allem dieses Handwerk erfuhr ein beträchtliches Wachstum infolge der Kriege in der Region des Rio de la Plata: In den picadas wurde das Schuhwerk für die Soldaten hergestellt. Die Schustereien entstanden nicht durch Zufall. Der Transportbetrieb schuf zwei spezifische Berufe: Matrose und Fuhrmann.

In den Blechschmieden der picadas wurden die Utensilien hergestellt, die man in Haus und Hof brauchte, wie Blechkannen für die Milch, Büchsen für Konserven, Becher, Eimer, Schüsseln, Backformen für das Brot, die Rinnen und Rohre zum Sammeln von Wasser in der Zisterne.

Jede picada hatte ihre Schnapsbrennerei. Verschiedene Bauern stellten selbst Wein und Bier her.

Mit dem Anwachsen der Bevölkerung entwickelte sich die Kleidungsherstellung. Diese Produktion konnte sich bald auch an den benachbarten Städten orientieren (Porto Alegre, São Paulo), wo berufsmäßige Schneider dann hinzogen. Natürlich nahm infolge der Aktivität dieses Gewerbes auch die Arbeit für die Weber zu. Die Produktion der Schneider trug manchmal auch zur Integration von Regionen bei. Der Schneider Friedrich Schreiner verkaufte in Uruguay Kleidung, die im Tal des Rio dos Sinos gefertigt wurde. Der Händler Carlos Renaux finanzierte Weber in Brusque, womit die Stoffherstellung in großem Maßstab begann.

In der Landwirtschaft und in der sie ergänzenden Produktion war die Familie die Kernzelle des Betriebs. Das Wohlergehen der picada hing ab vom Wohlergehen der Familien. Deshalb entwickelte sich das System der Nachbarschaft, mit Einheiten, die jeweils Gruppen von Bewohnern der picada vereinten, um sich bei der Ernte, bei Festlichkeiten und Traueranlässen gegenseitig zu helfen, aber auch in Zeiten der Krankheit, wenn sogar die Ackerbestellung des kranken Nachbarn übernommen wurde. Aufgrund dieser Struktur lässt sich die übrige Organisation der picada verstehen: Sie ist kommunitär und kooperativ.

Die mit der picada entstandene Gesellschaft, deren Anfänge in den deutschen Kolonien liegen, blieb nicht auf das Gebiet deutscher Kolonisierung beschränkt. Sie diente als Bezugsmodell für die Regionen in denen später Italiener, Polen und die übrigen Ethnien, die das Kontigent der Einwanderer bildeten, angesiedelt wurden.

Im Rahmen dieser allgemeinen Situation der picada müssen wir die Anfänge des privaten Schulwesens in Südbrasilien, Espírito Santo, São Paulo und Rio de Janeiro betrachten. Es begleitet die Entwicklung des kulturellen Lebens in den picadas. Hierbei sollte man aber keine romantische oder idealistische Auffassung hegen. Oft ist an den Einwanderern deren Beharrlichkeit, Arbeitseifer und Leistung bei der Nutzbarmachung der vorher von Urwald bedeckten Gebiete gelobt worden. Durch ihren Einsatz entstanden urbare Flächen, Gewerbe, Straßen, Wasser- und Landwege. Die Allianz von Handwerk und dem in der venda akkumulierten Kapital ließen Industrie und Handel entstehen. Diese ganze Investition wurde in den ersten Jahrzehnten von keinem kulturellen und intellektuellen Wachstum begleitet. Weniges an Büchern hatten die Einwanderer mitgebracht. Es gab Bibeln, Heiligenviten, katholische und lutherische Gesangbücher, Betbücher und Katechismen. Das kirchliche Leben war schwach, die ersten für die Gottesdienste errichteten Gebäude waren sehr armselig, in Beschreibungen von Reisenden ihrer Erscheinung nach nicht selten mit Schweineställen oder Schuppen verglichen. Wenige waren die Orte, wo solche Gebäude bessere Zustände aufwiesen. Der Kampf ums Überleben bewirkte, dass die Kinder nicht selten vom sechsten Lebensjahr ab gleich in die Arbeitstätigkeiten mit eingespannt wurden. Die Zahl der Kinder war auch nicht klein, denn viel Nachwuchs bedeutete eine größere Menge an Arbeitskräften. Reisende berichten uns davon, dass die Kinder früh reiten lernten und bereits als fünfjährige kleine Einkäufe und Lieferungen zu Pferde erledigten. Sie blieben jedoch Analphabeten. In Rio Claro, in der Provinz São Paulo, gründete ein lutherischer Pastor eine Schule mit Internat für Kinder, deren Eltern auf den Latifundien Kaffee ernteten. Trotz der prekären Verhältnisse in vielen der Einwandererschulen ist ein Aspekt unbestreitbar: Sie verhinderten die Ausweitung des Analphabetismus. Später knüpften Pfarrer und Priester an die Beharrlichkeit der Einwanderer an und erweiterten ihre Schulen.

Ende 1852 hatten die Kolonien von Rio Grande do Sul einen bedeutenden Neuzugang: die Brummer. Dasselbe geschah in Santa Catarina und danach in anderen Provinzen. Brummer nannte man die deutschen Söldner, die das brasilianische Kaiserreich im Krieg gegen das von Juan Manuel de Rosas regierte Argentinien rekrutiert hatte und die im Juli 1861 in Pelotas eintrafen. Als der Krieg endete, wurden die Söldner im Oktober 1862 entlassen. Die Mehrzahl dieser Söldner, recht junge Leute, war in Deutschland an den liberalen Revolutionen von 1848 und an den Kämpfen gegen Dänemark beteiligt gewesen. Nachdem ihre Truppen vom Deutschen Bund aufgelöst worden waren, migrierten sie 1851 nach Brasilien, wo sie einer neuen Enttäuschung begegneten, als sie die Versprechungen des Kaiserreichs nicht eingehalten sahen. Sie suchten daraufhin Arbeit und Bleibe in den Gegenden, wo Deutsche lebten und gründeten dort Familien, einige auf dem Land, andere in der Stadt. Erwähnt sei z. B. der Fall eines Schiffsjungen, der zusammen mit den Brummern eintraf: Karl von Koseritz, später Journalist und Politiker, zunächst in Pelotas und dann in Porto Alegre; oder Karl Jansen, Lehrer und Schriftsteller in Porto Alegre und später Professor am Colégio Pedro II in Rio de Janeiro. In den Kolonien galten die Brummer als das „Treibmittel der deutschen Kolonien“. Einige wurden Lehrer und schafften es in verschiedenen Regionen, das private Schulwesen zu reorganisieren. Sie traten den Eltern entgegen und erreichten es, dem unregelmäßen Schulbesuch ein Ende zu machen und führten Schulbücher sowie Lehrmaterial ein. Andere suchten Kontakt zu den Autoritäten der Provinzialregierung und erlangten ihre Ernennung zu Lehrern in den picadas, wobei sie dann nicht selten zu den Interessenvertretern eben dieser Orte wurden. In kultureller Hinsicht waren sie zudem Gründer vieler Vereine, insbesondere von Gesangsvereinen. Viele von ihnen, Anhänger der Aufklärung, des Liberalismus, des Materialismus und der Evolutionstheorie, bemühten sich nicht nur, das Hochdeutsch einzuführen und die vielen Dialekte zu überwinden, sondern waren auch bissige Spötter gegenüber allem, was sie als Aberglauben ansahen, von den Volksheilern über die einfache Frömmigkeit der Kolonisten bis hin zur Religion der Priester und Pastoren. Das hauptsächliche Medium für ihre Kritik waren die Zeitungen, zu denen religiöse katholische oder protestantische Blätter in Opposition standen.

Zusammenfassend können wir sagen, dass die deutsche Einwanderung im 19. Jahrhundert bedeutende Beiträge zur Formierung des unabhängigen Brasilien geleistet hat. Sie brachte ein neues wirtschaftliches Modell, das auf der Arbeit der freien Bauern und des Kleinlandbesitzes basierte. Sie legte die Fundamente für die kleinen, selbstversorgenden und selbsttragenden Stadtgemeinden Südbrasiliens. Sie schuf eine Schultradition, die die von Einwanderern bevölkerten Regionen zu denjenigen mit der stärksten Alphabetisierungsrate des Landes und mit der stärksten Verbreitung von Büchern und Zeitungen machte. Auf kultureller Ebene legte sie den Grundstock für unzählige Vereine, die sich der Bildung, dem Gesang, dem Theater und der Musik widmen. Auf religiösem Feld brachte sie, neben der erstmaligen und definitiven Etablierung religiöser Dissidenz in Form des Luthertums, die Traditionen des mitteleuropäischen Katholizismus. Und es war in den Einwanderungsgebieten, wo die staatsbürgerlichen Freiheiten und Rechte am meisten diskutiert wurden.