Eckhard E. Kupfer

Unterbrechung und Neuanfang

Unterbrechung und Neuanfang
Deutscher Botschafter Fritz Oellers (links) mit Gouverneur Lucas Nogueira Garcez in São Paulo, 1951

Die deutsch-brasilianischen Beziehungen, welche nach dem I. Weltkrieg eine ganze Weile gebraucht hatten, um wieder in Fahrt zu kommen, sowohl auf diplomatischem als auch auf wirtschaftlichem Gebiet, erreichten in den 1930er Jahren einen Höhepunkt, der für beide Nationen von großem Vorteil war (siehe Artikel von Silvia Cristina Lambert Siriani und „Diplomatische Beziehungen“ nach Moniz Bandeira). Ab 1938 erschwerten jedoch nationalistische Tendenzen in Brasilien die noch engere Verbindung beider Länder. Zum Stillstand kam es im Jahr 1942 wegen der deutschen U-Boot-Angriffe vor Brasiliens Küste zwischen Februar und August, denen insgesamt zwanzig brasilianische Handelsschiffe zum Opfer fielen. Damit wurde Präsident Getulio Vargas die Entscheidung abgenommen, wie er sich im II. Weltkrieg verhalten sollte. Die Achsenmächte, und besonders Deutschland, waren nun offizielle Feinde geworden. Dies wirkte sich natürlich sowohl auf die offiziellen als auch auf die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder aus: den Deutschen und Deutschstämmigen in Brasilien wurde mit Misstrauen begegnet, sie wurden häufig als Spione betrachtet und gar in Internierungslager gefangen gehalten.

Nach Kriegsende im Mai 1945 musste das geschlagene Deutschland erst einmal neu organisiert und strukturiert werden, was völlig in den Händen der vier Siegermächte lag. Es gab recht unterschiedliche Vorstellungen von einem zukünftigen Deutschland. Die Sowjets hielten sich rasch an den Industrieinstallationen in ihrem Schutzgebiet schadlos und demontierten etwa 80 Prozent der Produktionsstätten, um damit zu Hause eine eigene Industrie aufzubauen. Von USamerikanischer Seite war zunächst daran gedacht, dem verbliebenen Deutschland jede Möglichkeit zur industriellen Wiedererstarkung zu nehmen. Der Plan des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau war, das unterlegene Land in einen reinen Agrarstaat zu verwandeln. Doch die Unstimmigkeiten zwischen den Siegermächten und die Abtrennung des sowjetischen Besatzungsgebiets ließen den amerikanischen Präsidenten Truman umdenken. Er folgte der Auffassung seines Außenministers George Marshall, der einen eigenen Wirtschaftsentwicklungsplan für Deutschland erarbeitet hatte; mit diesem wurden Hilfspakete geschnürt, die sowohl die Groß- als auch die Klein und Mittelindustrie langsam wieder erstarken ließen. Bereits im Jahr 1947 war abzusehen, dass die Welt sich in zwei Lager spalten würde, und die USA benötigten im Herzen Europas einen soliden Partner als Bollwerk gegen den entstehenden kommunistischen Ostblock. Dies kam Deutschlands Wiederaufbau zugute und befreite die 1949 entstandene Bundesrepublik von den unseligen Reparationszahlungen, die nach dem I. Weltkrieg das Land in den 1920er Jahren so unstabil werden ließen, was schließlich der Hitlerschen Bewegung die Chance gab, dem Volk Vertrauen und Selbstbewusstsein zu verkaufen.

Brasilien war in den Nachkriegsjahren als Beobachter im Allied Control Council in Berlin vertreten. Diese Delegation kümmerte sich hauptsächlich um die Repatriierung von Deutsch- Brasilianern und deren Angehörigen. Eine größere Emigrationswelle wurde von den Alliierten unterbunden. Immerhin wurden bis 29. November 1948 von Brasilien insgesamt 4.069 Immigranten akzeptiert. Das Hauptinteresse Brasiliens lag jedoch darin, die hervorragend funktionierenden Handelsbeziehungen der 1930er Jahre wieder aufleben zu lassen. So wurde im Jahr 1950 eine spezielle Handelsmission unter der Leitung von Botschafter Mario de Pimentel-Brandão nach Bonn entsandt, um über gemeinsame Wirtschaftsbeziehungen zu reden. Rasch entwickelte sich der vorsichtig begonnene Warenaustausch wieder. Während die Bundesrepublik im Jahr 1947 lediglich für 10 Millionen Cruzeiros Waren nach Brasilien verkaufte, waren es im Jahr 1948 bereits 229 Millionen Cruzeiros, 1949 313 Millionen und 1950 335 Millionen. Brasiliens Exporte nach Deutschland begannen 1948 mit 19 Millionen Cruzeiros, steigerten sich 1949 auf 111 Millionen und erreichten 1950 bereits 321 Millionen Cruzeiros. Damit lag Deutschland bereits wieder auf dem 4. Platz der brasilianischen Lieferländer und die Bundesrepublik war zum drittwichtigsten Abnehmer brasilianischer Waren geworden.

Nach dem Deutschlandvertrag im Jahr 1952 wuchs der Export der Bundesrepublik jährlich um zweistellige Prozentzahlen. Präsident Getulio Vargas, der 1951 wieder die Regierung in Rio de Janeiro übernommen hatte, drängte darauf, mit Deutschland engere Wirtschaftsbeziehungen aufzunehmen, da er nach wie vor große Vorbehalte hatte, nur ein Satellit der USA zu sein. Im Jahr 1951 wurde in Rio de Janeiro eine Botschaftsvertretung eröffnet. Diese Position übernahm ein Politiker aus der Freien Demokratischen Partei, Fritz Öllers. Er blieb bis 1956 in diesem Amt und bereitete dabei den Weg für wichtige Neuinvestitionen deutscher Firmen in Brasilien vor. Im selben Jahr besuchte eine große deutsche Wirtschaftsdelegation unter der Leitung von Ministerialdirektor Baron von Maltzan Brasilien. Diese Reise zeigte bald wichtige Ergebnisse. Da Brasilien jedoch an einer chronischen Devisenknappheit litt, galt das Hauptinteresse den Direktinvestitionen ausländischer Firmen. Über dieses Thema hatte das Land schon seit geraumer Zeit mit den USA verhandelt, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Das amerikanische Interesse bestand darin, wie bereits während der Geschäftsverbindungen in den 1930er Jahren, den Export zu steigern, um damit Arbeitsplätze auf dem Heimatmarkt zu sichern und auszubauen , während Brasilien an einem beiderseitigen Handelsaustausch interessiert war und besonders direkte Investitionen in nationale Betriebsstätten erwartete. Wieder waren es deutsche Wirtschaftspolitiker, aber auch die Vertreter deutscher Firmen, die bereits in Brasilien ansässig waren, welche die Initiative ergriffen, verstärkt Direktinvestitionen im Land zu tätigen. Durch das von der Vargas-Regierung im Jahr 1953 verfügte Verbot des Imports von Automobilien, wurde die Entscheidung der deutschen Hersteller Volkswagen und Mercedes-Benz erleichtert, sich mit eigenen Produktionsstätten in Brasilien zu etablieren. Diese Entscheidung zog weitere Investitionen von Zulieferern und Dienstleistern nach sich.

Eine besondere Bedeutung hatte der Besuch des damaligen deutschen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard im April 1954, da bei diesem Besuch eine ganze Reihe von Handelsverträgen abgeschlossen wurden, was der weiteren engen Zusammenarbeit beider Länder die Türen öffnete. Bis zum Jahr 1957 gab es 130 deutsche Neuinvestitionen in Brasilien, sei es durch Eröffnung eigener Produktionsstätten oder durch die Beteiligung an brasilianischen Unternehmen. Damit erreichte die Bundesrepublik Deutschland wieder eine Handelsposition, die an die enge Partnerschaft der 1930er Jahre anknüpfte, und zugleich neue Perspektiven –besonders mit der Automobilindustrie – für Brasilien als aufstrebendes Industrieland eröffnete.