Silvia Cristina Lambert Siriani

Der deutsche Beitrag zur brasilianischen Wirtschaft: Von der Belle Époque bis zur Ära Vargas

Der deutsche Beitrag zur brasilianischen Wirtschaft: Von der Belle Époque bis zur Ära Vargas
Zeitungsanzeige der Gärtnerei Dierberger, 1912

Im Jahr 1929 veröffentlichte der brasilianische Historiker Sérgio Buarque de Holanda in der Berliner Zeitschrift Duco einen Artikel unter dem Titel „Statt jeder Vorrede“, in dem er für eine wirtschaftliche Annäherung zwischen Brasilien und Deutschland plädierte, da dies in seinen Augen für beide Nationen Vorteile bringen würde. In seiner Analyse war der brasilianische Staat seit Beginn des 19. Jahrhunderts von britischem Kapital abhängig gewesen und steuerte im zweiten Viertel des Jahrhunderts auf engere Beziehungen mit den Vereinigten Staaten zu. In diesem Zusammenhang wies der Autor nun darauf hin, dass Deutschland, das seit seiner Vereinigung im Jahr 1871 zu einer europäischen Macht geworden war, nicht außerhalb dieses Prozesses bleiben dürfe, sondern wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu Brasilien, der zu jener Zeit größten aufsteigenden Macht in ganz Südamerika, knüpfen sollte.

Tatsache ist, dass, ungeachtet der Ansichten Buarque de Holandas zum 20. Jahrhundert, die Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland bereits lange vorher begonnen worden waren. Man muss zurückgehen auf die Anfänge der Einwanderung in den 1820er Jahren, als die ersten Siedler kamen, um Kolonien im Süden des Landes und auf der Hochebene São Paulos zu bevölkern, und erleben mussten, wie sie von den Autoritäten des Kaiserreichs im Stich gelassen wurden. Mit dem Entwickeln von Überlebensstrategien bewirkten sie einen Aufschwung der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion sowie des lokalen Handels, wobei sie neue Anbautechniken einführten sowie neue Konsumartikel und -gewohnheiten. So sah das 19. Jahrhundert eine Reihe von Unternehmungen aufkommen, die von Einwanderen deutscher Herkunft vorangetrieben wurden und die in der Belle Époque genannten Zeit die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Nationen noch fruchtbarer und enger werden ließen.

Wenn die Lebensbedingungen, die sich den ersten in der Zeit des Kaiserreichs eintreffenden Deutschen boten, nicht günstig waren, auch angesichts der Beihelferrolle, die Brasilien selbst im beginnenden System des Industriekapitalismus spielte, so sah es für ihre Nachfahren und für Einwanderer aus kleineren Imigrationswellen – dann schon im letzten Viertel des Jahrhunderts und vor allem nach der Ausrufung der Republik – schon ganz anders aus. Hauptverantwortlich für die Verbesserung der Lebensqualität dieser Menschen war der überaus große Anstieg der Gewinne durch die Ausweitung des Kaffeeanbaus und -exports. Einige deutsche Einwanderer nahmen an diesem Prozess teil. Mit großem Spür- und Geschäftssinn, und freilich auch den notwendigen Mitteln für Investitionen, nutzten sie die Expansion der Exporte und den anhaltenden Bedarf des brasilianischen Markts zum Import landwirtschaftlicher und industrieller Maschinen sowie diverser Utensilien für den Hausgebrauch, um Firmen großen Formats und breitgefächerter Interessen aufzubauen. Der kennzeichnendste Vertreter dieser Kategorie von Unternehmern war der aus Kiel stammende Theodor Wille, der im Jahr 1844, demselben Jahr seiner Ernennung zum preußischen Vize-Konsul in Santos, in dieser Stadt eine Firma begründete, die sich zum Eckstein eines großen Handelsimperiums entwickeln sollte.

Theodor Wille & Cia. wurde zum Pionierunternehmen der Kommissionshäuser in Santos und verbucht noch heute für sich das Verdienst, den ersten Sack Kaffee der damaligen Provinz São Paulo exportiert und damit ein „Goldenes Zeitalter“ für die nationale Wirtschaft eröffnet zu haben. In kurzer Zeit wuchs die Firma zum größten Kommissionshaus des Landes, wenngleich sie Konkurrenz von britischen Kommissionshandlungen hatte sowie aus den Reihen der lokalen Kaffeeeliten, wie etwa der Firmen Prado, Chaves & Cia., Prado, Vilela & Cia. und Ferreira Júnior & Saraiva, letztere auf Importhandel spezialisiert. Diese Kommissionshäuser hatten die Aufgabe, Waren ein- und auszuführen, aber insbesondere, die Kaffeeausfuhren zu kontrollieren. Zu diesem Zweck besaßen sie die Aktienkontrolle einiger Schifffahrtsgesellschaften und selbst von Eisenbahnlinien, um den Transport zu erleichtern und die Kosten dafür senken zu können. Die Firma Theodor Willes brachte es sogar zu ihrer eigenen Flotte, die dieselben Privilegien wie der Lloyd Brasileiro genoss und außer dem Warentransport auch Passagiere (mehrheitlich Einwanderer) beförderte, wie die im öffentlichen Archiv des Staates São Paulo befindlichen Bordlisten bezeugen.

Das Unternehmen Theodor Wille & Cia. wirkte an diversen Fronten und besaß bis zu acht Kaffeefazendas im Innern des Staates São Paulo, darunter die Fazenda Marinheiro de Cima, die Willes Landsmann Franz Schmidt gehört hatte und von diesem zur Begleichung einer Schuld an Willes Firma abgetreten wurde. Erwähnt sei, dass 1937 auf dem Gelände dieser alten Fazenda nach seiner Parzellierung die Stadtgemeinde Votuporanga entstand. Trotz der Bedeutung des Unternehmens verfügen wir über wenige Quellen, die Auskunft über das ganze Wirken seiner Geschäfte in Brasilien geben. Man weiß, dass Wille ebenfalls Eigner des Elektrizitätswerks Central Elétrica de Rio Claro und Aktionär der Bierbrauerei Brahma, George Maschke & Cia. war, und zudem, dass er während der Regierung Rodrigues Alves den sogenannten Convênio de Taubaté finanzierte, ein Abkommen, mit dem 1906 eine Kooperation der Regierungen von Bund und Land mit den Kommissionshäusern und den Fazendabesitzern zur künstlichen Stützung des Kaffeepreises begann, angesichts der ersten Krisenzeichen für das Produkt auf dem Weltmarkt. Der Betrieb des gesamten Unternehmens im Land wurde offiziell im Jahr 1943 eingestellt, und zwar durch die Gesetzesverordnung Nr. 5.699 vom 27. Juli desselben Jahres, welche die Liquidierung der in Brasilien bestehenden Firmen Theodor Wille & Cia. sowie Herm. Stoltz & Cia. bestimmte, als Folge des Anschlusses des Landes an die sogenannten Alliierten Mächte während des Zweiten Weltkriegs. In dieser Zeit nämlich hatte die Regierung von Getúlio Vargas die diplomatischen Beziehungen zu Hitler- Deutschland abgebrochen und die während der 1930er Jahre praktizierte Politik des „äquidistanten Pragmatismus“ aufgegeben.

Trotz des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland Mitte der 1940er Jahre, waren die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern bis dahin solide und ertragreich gewesen. Zur Veranschaulichung dieses Sachverhalts genügt es, die Gründungen von deutschen Bank- und Versicherungshäusern auf brasilianischem Boden näher zu betrachten. Die meisten von ihnen erfolgten, um die verschiedenen Investitionen deutscher Firmen zu erleichtern und außerdem eine Regelmäßigkeit bei den Import- und Exportgeschäften zu garantieren sowie Geldsendungen der Einwanderer in ihr Heimatland zu besorgen. Bis 1875 gab es lediglich zwei Banken in São Paulo, die Banco do Brasil und die Banco de São Paulo. Zwar existierte auch schon das Bankhaus, das dem deutschen Arzt Dr. Theodor Reichert gehörte und das bis 1884 bestand, als es seine Aktivitäten einstellte, doch sein Wirkungsfeld kann als begrenzt angesehen werden.

Von den ersten Jahren der Republik an wurde das Bank- und Versicherungssystem mit dem Anwachsen der Kaffeeexporte und der starken Vermehrung der Kommissionshäuser komplexer und es kam zu einer massiven Präsenz von direkt an ausländisches Kapital gebundenen Bankhäusern, die im Fall des Staates São Paulo bis zu 66,5% aller in der Branche aktiven Institutionen ausmachte, mit herausragender Stellung der Brasilianischen Bank für Brasilien.

In den 1920er Jahren waren im Kreditsystem des Staates São Paulo die Banco Alemão Transatlântico und die Banco Germânico da América do Sul aktiv. Seit den 1890er Jahren war es außerdem möglich, Versicherungen gegen Brand, Diebstahl, Unfälle oder Schäden an Gütern und Ladungen abzuschließen, denn die republikanische Regierung hatte Genehmingungen erteilt für den Betrieb großer Versicherungen wie die Norddeutsche Feuerversicherungs-Gesellschaft, die Cia. de Seguros contra fogo Hamburgo-Magdeburgo, die Mannheimer Versicherungs-Gesellschaft und die Nord-Deutsche Versicherungs- Gesellschaft mit Sitz in Hamburg. Diese und viele andere Gesellschaften verbreiteten sich mit derselben Geschwindigleit mit der die Kaffeeexporte nach dem europäischen Kontinent zunahmen und die Schifffahrtsgesellschaften sich im Land niederließen, um den kontinuierlichen Fluß von Waren und fachlich geschulten Arbeitskräften zu gewährleisten.

Den industriellen Sektoren, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits von deutschen Einwanderern kontrolliert wurden, nutzte natürlich der Kapitalzufluss aus den Kafeeexporten. Die markantesten Beispiele, wo die deutsche Präsenz fast an ein Monopol grenzte, waren die Hutindustrie und die Bierbrauereien. Edgar Carone zufolge konnte für das Jahr 1915 die Existenz von 269 Hutfabriken und Hutmacherwerkstätten sowie 270 Brauereien ermittelt werden, von denen wir verdientermaßen die Fabrica a Vapor de Chapeos de J.A. Schritzmeyer hervorheben können, die 1853 gegründet wurde und bis zu 180 Angestellte hatte, mit einer Tagesproduktion von 400 Stück in den 1880er Jahren. Die Fabrik befand sich im Gebiet des Anhangabaú-Tals, am Platz Largo da Memória, und war so entworfen, dass das Wasser des Flusses durch seine Einrichtungen hindurchfloss, um daraus den Dampf für die Maschinerie zu erzeugen, die gänzlich aus Deutschland importiert war. Die Hüte, von internationaler Qualität, wurden im familieneigenen Laden verkauft, der sich an der Quatro Cantos genannten Kreuzung der Staßen Rua Direita und Rua São Bento befand, einer der traditionellsten Geschäftsecken der Stadt. João Adolpho Schritzmeyer starb 1902 und seine Kinder verkauften schließlich das ländliche Anwesen, wohin die Fabrik wenig später verlegt wurde, womit leider die größte Hutfabrik des Landes ihren Betrieb einstellte.

Weiterhin im industriellen Bereich haben sich die Deutschen seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend in der Bierherstellung hervorgetan. Johann Boemer, Ludwig Bücher, Guilherme und Frederico Faust, José Heib, Henrique Schoeffer, Henrique Schomburg u.a. trugen dazu bei, dass dieses Getränk populär wurde. Die Geschäfte in der Bierbrauerei zum Prosperieren zu bringen und über die Stufe rein handwerklicher Herstellung hinauszugelangen, schafften jedoch nur wenige der deutschstämmigen Einwanderer und diese vor allem, weil sie aus Europa importierte Techniken, Rohstoffe und Geräte verwendeten. Im Jahr 1888 gründete der Schweizer Joseph Villiger auf dem Grundstück seines Hauses in Rio de Janeiro die Manufactura de Cerveja Brahma Villiger & Companhia. Das Experiment währte jedoch nicht lange. Nach vier Jahren erwarb der Deutsche Georg Maschke die Unternehmung und reichte beim Landwirtschaftsministerium den Antrag auf eine Änderung der Firmensatzung ein, wodurch daraus 1895 eine Aktiengesellschaft wurde, die nun den Namen Cervejaria Brahma Georg Maschke e Cia. trug. Mit einer modernen, aus Deutschland importierten Ausrüstung, Kühlmaschinen und Kühlkammern, entwickelte sich die Brauerei allmählich zu einer der größten Industrien der Branche in Lateinamerika. 1899 erwarb das Unternehmen mit Finanzierung der Brasilianischen Bank für Deutschland die Konkursmasse der Firma Haupt e Companhia, der die Brauerei Cervejaria Bavária gehörte, welche somit zu seinem Besitz hinzukam.

Im Staat São Paulo dagegen tat sich die Companhia Antarctica Paulista hervor. 1887 von dem Deutschen Louis Bücher ursprünglich als Eisfabrik gegründet, begann die Firma ab dem darauffolgenden Jahr mit der Herstellung von untergärigem Bier. Mit der Steigerung der Produktion wechselte sie auf ein 74.000 m2 großes Grundstück im Stadtteil Mooca, durch das eine Zweiglinie der englischen Eisenbahn lief. Im Zuge der durch das Gesetz über Aktiengesellschaften angeregten Erleichterungen und die durch die Politik des sogenannten Encilhamento geförderte Spekulationseuphorie wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren Hauptaktionär Anton Zerrener war. Zerrener, angesehener Kaffee- Kommissionär in Santos, leitete zusammen mit seinem Partner, dem Dänen Adam von Bülow eine umfassende Modernisierung der Einrichtungen in die Wege und eröffnete 1911 die Filiale in Ribeirão Preto sowie 1912 die Filiale im Stadtteil Água Branca. Die Gebäude des Haupthauses wurden für eine jährliche Produktion von 300.000 Hektolitern Bier konzipiert und die von der Companhia Vidraria Santa Marina hergestellten Flaschen wurden mit Wasser gewaschen, das man aus zum Teil über 100 m tiefen artesischen Brunnen gewann. Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts waren sowohl die Cia. Antarctica Paulista als auch die Cervejaria Brahma zu den beiden größten Unternehmen der Branche geworden, wobei jede Vertretung und Vertrieb der anderen in ihrem jeweiligen Bundesstaat übernahm.

Das Wirken deutscher Investoren konnte sich auch im Bereich Papier und Zellulose entfalten. Kurioserweise ging dabei die Initiative allerdings von einem berühmten Bürger São Paulos aus, dem Oberst Antonio Pivost Rodovalho, verdienstvoller Unternehmer, der mit der Kalkproduktion nahe der Hauptstadt begann, an einem Ort, der dann den Namen Caieiras („Kalköfen“) annahm.

Kurz vor Ausrufung der Republik begann er dort auch mit dem Bau einer Papierfabrik, deren Betrieb er der deutschen Firma Gebrüder Hemmer überließ. Damit hatte er den Keim dessen geschaffen, was sich später zur Companhia Melhoramentos de São Paulo entwickelte. Die Papierherstellung begann im Jahr 1890 und das Unternehmen wurde zum Hauptlieferanten für die Druckerei, Buchbinderei und den Schreibwarenhandel des Hamburgers M. L. Bühnaeds. Mitte des Jahrzehnts begannen dort die Brüder Otto und Alfried Weiszflog zu arbeiten, die später das Schicksal beider Firmen bestimmen sollten.

Im Jahr 1905 kauften die Brüder Weiszflog Bühnaeds & Cia. und setzten die Geschäftsbeziehungen mit der immer größer werdenen Companhia Melhoramentos fort, an der Oberst Rodovalho, der acht Jahre später starb, aber bereits nicht mehr beteiligt war. Jahre darauf, nämlich 1915, debütierten die Brüder auf dem Verlagsmarkt mit der Veröffentlichung des ersten vollständig in Brasilien produzierten Buches. Es war eine Ausgabe der Kindergeschichte Das hässliche Entlein von Hans Christian Andersen, mit der gleichzeitig eines der Hauptsegmente des zukünftigen Verlags eröffnet wurde: die Kinder- und Jugendliteratur. Selbst in der harten Zeit der Jahre des Ersten Weltkriegs gaben die Brüder das Unternehmen nicht auf und der jüngere, Walther, übernahm die Geschäftsführung der Druckerei, deren Produktion er so steigerte, dass er genügend Kapital für den Erwerb der Papierfabrik erwirtschaften konnte und beide Unternehmen 1920 zusammenführte. In den 1930er Jahren war die Companhia Melhoramentos bereits zum größten Papierproduzenten des Landes und einem der renommiertesten Verlage herangewachsen. In den 40er Jahren beherrschte die Familie Weiszflog auch die Technologie der Zelluloseproduktion aus Eukalyptus, zu dessen Anpflanzung sie im Innern des Bundesstaates mehrere Landstücke erworben hatte.

Doch die durch die deutschen Investitionen erzeugte Euphorie und das steigende, von der Alten Republik geförderte Anwachsen der Importe und Exporte begannen ab den 1930er Jahren, mit dem Aufstieg Getúlio Vargas an die Macht, erste Rückschläge zu erleiden. Mit seiner sogenannten Pendelpolitik bzw. Politik des Tauschhandels betrieb Vargas eine wirtschaftliche Annäherung sowohl an Deutschland als auch an die USA. Von 1934 bis 1938 war ein bilaterales Wirtschaftsabkommen mit Deutschland in Kraft, bei dem die Verrechnungsmark als Tauschmittel verwendet wurde. Nach Deutschland wurden Kaffee, Leder, Tabak, Reis, Fleisch, Schweinefett sowie vor allem Baumwolle exportiert und im Tausch dafür erhielt man Kohle, Elektrogeräte, Weißblech, Eisenrohre, Stahl und Eisenbahnmaterial.

Das Hauptinteresse des Staates und vor allem des deutschfreundlichen Lagers der brasilianischen Streitkräfte bestand allerdings darin, deutsche Investitionen in den Sektoren solcher Basisindustrien wie der Eisen- und Stahlindustrie sowie der Ausrüstung und Modernisierung des Kriegsarsenals zu erlangen. Unterdessen wandelte sich die internationale Szene mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Torpedierung von Schiffen der brasilianischen Handelsmarine vermeintlich durch deutsche U-Boote veranlasste die Regierung dazu, mit der Logik des neutralen Pragmatismus zu brechen und den Achsenmächten am 31. August 1942 den Krieg zu erklären. Von da an wurde deutschen Unternehmen und Investoren im Land von der brasilianischen Regierung eine Reihe von Beschränkungen auferlegt und es kam dabei zu einer regelrechten „Hexenjagd“. Die Polizeirhetorik ging aus diesem Anlass dazu über, Personengruppen eingeteilt nach „Kategorien der Verdächtigung“ zu kennzeichnen, welche von bloßer Sympathie für die Hitlerische Ideologie bis zu Spionageanklagen reichten und dabei selbst Deutsche jüdischer Herkunft zu potenziellen Verschwörern und realen Feinden der Vargas-Politik machten. So kam es tatsächlich dazu, dass viele Deutsche von den Polizeikräften streng überwacht wurden, was in einigen Fällen in der Verhaftung und Internierung von „Untergebenen der Achse“ kulminierte, in Gefängnislagern, die im Innern des Staates São Paulo verteilt waren, wie dies z.B. mit den 244 Besatzungsmitgliedern des Schiffes Windhuk geschah, das der Deutschen Ost- Afrika Linie gehörte. Die Folge war, dass Männer, Frauen, Geschäftsbetriebe, Freizeitund Kultureinrichtungen, Zeitungen und Schulinstitutionen im wachsamen Visier der brasilianischen Autoritäten standen, vor allem nach dem politisch-militärischen Anschluss an die nordamerikanische Regierung und die offizielle Kriegserklärung an die Achsenmächte. Selbst der Gebrauch der eigenen Sprache unter den Deutschsprachigen im Land wurde als ein Zeichen der Verachtung gegenüber der lokalen Kultur gedeutet und gesetzlich verboten, da darin eine „nazifizierende“ Praxis erkannt wurde.

Im Zuge dieses von den brasilianischen Behörden geschmiedeten Diskurses, entwickelte sich ein Prozess regelrechter „Dämonisierung“ alles Deutschen. Dies kulminierte nicht nur in der vorübergehenden Destrukturierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, was viele Firmenauflösungen und die Zwangsnationalisierung zahlreicher Unternehmen mit sich brachte, sondern auch in der Verbreitung des Mythos von der „deutschen Gefahr“, was einherging mit Denunzierungen, Verfolgungen, willkürlichen Verhaftungen und Deportationen, im Eifer einer Suche nach der brasilianischen „Reinkultur“ und ihrer Verteidigung gegen vermeintlich alldeutsche Interessen.